Zur Tragwirkung von Aquarienscheiben
In diesem Beitrag möchte ich anhand die Tragwirkung von Aquarien eingehen. Der Text wird keine konkreten Bemessungsvorgaben enthalten, sondern nur das grundsätzliche Tragverhalten üblicher Aquarien aufzeigen. Es sind im Grunde Aufarbeitungen von Fragen zu Tragsituation von Aquarien, die über die Jahre an mich herangetragen wurden oder die mich selbst interessierten. Es wird hier also nichts sensationelles vorgestellt und vieles kann sich der geneigte Leser selber erarbeiten.Ich möchte ausdrücklich auch darauf hinweisen, dass ich kein Aquarienbauer bin und auch keine Aquarien berechnen werde.
Aquarien haben üblicherweise vier Seitenscheiben und eine Bodenscheibe. Die Geometrie ist quaderförmig mit lotrechten Seitenscheiben und einer horizontalen Seitenscheibe. Die Scheiben stehend üblicherweise orthogonal zueinander. Es gibt Sonderformen, z.B. gebogene oder schräg stehende Frontscheiben oder Aquarien mit mehr als vier Seitenscheiben.
Belastungen
Die wesentlichen Einwirkungen eines eingerichten Aquariums ergeben sich aus der Wasserfüllung und der Einrichtung. Zusätzliche Lasten wie die Abdeckung werden hier nicht behandelt, dürften aber üblicherweise auch nicht maßgeblich werden. Es kann weitere spannungsrelevante Einwirkungen geben, z.B. Zwängungen aus unebenen Auflagerungen oder Anstoß von außen. Diese möglichen Einwirkungen werden hier nicht gesondert behandelt.Wasserdruck
Der Wasserdruck ist die wesentliche Belastung des Aquariums. Wasserdruck wirkt immer senkrecht zur Ebene und ergibt sich aus der Wasserspiegelhöhe. Er folgt streng der Gleichung "Gamma x Höhe". Gamma beschreibt das spezifische Gewicht des Wassers, in der Statik wird es mit 10 kN/m3 angenommen (= 1 t pro m3), die Höhe wird in Metern gemessen. Es macht sich Sinn sich an diese Einheiten zu halten und nicht in kg, Bar oder sonstigen Einheiten zu denken oder gar zu rechnen.
Der Wasserdruck nimmt nach unten linear zu. Am Wasserspiegel ist er = Null, an der
Bodenscheibe maximal. Die Bodenscheibe hat eine gleichförmige Belastung, da sie
ja horizontal liegt, also keine Höhenzunahme erfolgt.
Das Belastungsbild ist für alle Seitenscheiben gleich, es hat nichts mit der
Länge der Scheiben zu tun. Auch schrägstehende Scheiben sind mit der Last
aus Gamma x Höhe beaufschlagt, es ist dabei nur zu berücksichtigen, dass
die Last immer senkrecht zur Scheibe wirkt.
Auf die Bodenscheibe wirken noch zusätliche Lasten aus der Bodenfüllung und evlt. Steinen. Streng theoretische hat der Bodengrund auf seiner Höhe auch eine Wirkung auf die Seitenscheiben, aber den Anteil kann man wg. Geringfügigkeit vernachlässigen.
Spannungen aus dem Tragsystem
Vorgenannten Lasten führen zu berechnenbaren Spannungen in den Scheiben und Nähten. In Abhängigkeit vom vorhandenen Tragsystem können aber noch weitere Spannungen hinzu kommen, wenn z.B. die Bodenscheibe freitragend ist, was durchaus der Fall sein kann und dann auch noch die Lasten über die Seitenscheiben zu den Ecken getragen werden. Das ist ein statisch durchaus eindeutiges System, bringt aber zusätzliche Spannungen mit in die Scheiben ein.Tragsysteme
Man berechnet ein Aquarium nicht komplett, sondern zerlegt es in seine verschiedenen Einzelteile und berechnet die gesondert. Das wären also symmetriebedingt zwei Seitenscheiben und eine Bodenscheibe. Eventuell kommen noch Verstrebungsleisten hinzu. Die Nähte sind auch berechnenbar. Um die Bauteile richtig berechnet zu können, muss man ihr statisches System kennen. Übrlich sind zwei grundlegende Systeme.
Vierseitig gelagerte Scheibe
Ein häufiger Fall ist die vierseitig gelagerte Scheibe. An den Seiten ist sie tragfähig mit den angrenzenden Seitenscheiben verbunden, unten mit der Bodenscheibe. Oben muss auch eine Lagerung vorhanden sein. Idealerweise ist das eine horizontale Leiste, es können als Sonderfall auch Streben zur gegenüberliegenden Seitenscheibe sein. Streng korrekt ist das dann allerdings eine Mischform zur dreiseitig gelagerten Scheibe. In jedem Fall aber muss die allseitig gelagerte Scheibe auch oben ihre Lasten abtragen können.Wenn das der Fall ist wird diese Scheibenform die geringsten Spannungen und Durchbiegungen aufweisen. Wenn die Scheibe streng auf dieses System berechnet wurde, würde die Ablösung einer oberen Querleiste das Aquarium in ernste Schwierigkeiten bringen können.
Dreiseitig gelagerte Scheibe
Diese ist nur an den Seiten und unten gehalten, der obere Rand ist frei. Dieses funktioniert nur bei langen Aquarien nicht mehr, weil die sich ergebenden Glasstärken sehr groß werden würden und auch die Silikonnähten in den oberen Ecken hoch beansprucht werden.Berechnung
Die Berechnung statischer Systeme, also auch der Aquarienscheiben, kann zumeist auf zwei Wege erfolgen. Einmal den komplizierten und genaueren Weg, der zu realistischeren Werten führt und durch die Reduzierung auf ein einfaches System, mit welchem man auf der sicheren Seite liegt.Für die realitätsnahe Berechnung von Scheiben nutzt man entweder entsprechende Tabellenwerke oder aber sogenannte FEM-Programme. Die Berechnung erfolgt nach der Plattentheorie, weil diese Flächentragwerke berechnet, welche senkrecht zu ihrer Ebene belastet sind. Das ist bei Aquarienscheiben ja der Fall. Auch wenn der Name naheliegender erscheint, die Scheibentheorie befasst sich mit Flächentragwerke welcche in ihrer Ebene belastet sind, also z.B. für Wandscheiben. Das ist bei Aquarienscheiben ja nicht zutreffend.
Die Berechnung teilt sich in zwei Stufen. Im ersten Schritt werden anhand der angesetzten
Lasten, der vorhandenen Geometrie und den Lagerbedingungen der Scheiben die sogenannten
Schnittgrößen berechnet. Das sind im wesentlichen die Biegemomente und die
Auflagerkräfte. Im zweiten Schritt werden dann die maximalen Schnittgrößen
zur Bemessung der Glasstärke herangezogen. Auch die Mindestnahtabmessungen
könnte man damit berechnen.
Es sind bei der Bemessung immer konstruktive Mindestabmessungen zu berücksichtigen.
So würde man, selbst wenn es rechnerisch nachweisbar wäre, ein Aquarium wohl
kaum aus 3mm-Glas herstellen wollen. Selbst wenn es im fertigen Zustand fuktioniert,
es wäre für den Transport zu emüpfindlich und ein Stoß von außen
wäre auch u.U. nicht aufnehmbar.
Was man mit vorgenannten Methoden nicht nachweisen kann sind Einwirkungen aus Zwängen, z.B. einseitigen Setzungen des Unterschrankes oder aber quellende Holzplatten. Die können auch erbehliche Einwirkungen bringen. Beides kann zwar im Extremfall rechnerisch nachvollzogen werden, aber dazu muss man wissen was passiert ist. Als Lastfall einplanen lassen sich solche Situationen nicht.
An sich macht es m.E. keinen Sinn große FEM-Programm zu bemühen, weil deren
Ergebnisse zu Glasstärken führen würden die man, wie oben schon
angeführt, aus konstruktiven Gründen ohnehin nicht wählen würde.
Man sollte diese Programme oder Tabellen nur dann nutzen, wenn das einfache statische
System des Einfeldbalkens nicht zutreffend ist. Das ist z.B. bei der dreiseitig gelagerten
Platte der Fall.
Für die vierseitig gelagerte Scheibe reicht es jedoch aus, wenn man die Scheiben als
senkrechten Balken mit einer Dreieckslast versteht. Selbst die Bemessungsergebnisse liegen
noch unter den sinnvoll einzusetzenden Glasstärken.
Vorschriften
Die Forderungen der Vorschriften wie auch die Empfehlungen der Flachglasindustrie sollten in keinem Falle unterschritten werden. Auch dann nicht, wenn die Bemessungsergebnisse deutlich geringere Glasstärken ausweisen. Hier sei auf die DIN 1249 hingewiesen.Vergleich der Aquarientypen
Hier mal die Auswertung einer Vergleichsberechnung verschiedener statischer Tragsysteme für eine Aquarienscheibe von 1.0m Länge und 0,5m Höhe.Erstellt wurden die Grafik durch eine FEM-Berechnung. Außen umlaufend sind die Auflagerlasten zu erkennen. Die Striche zeigen etwa auf, wie sich die Lasten in der Scheibe zu den Auflagern bewegen. Die Farben innen zeigen die Verformungen, wobei blau die jeweils maximale Durchbiegung der Scheibe nach außen darstellt.
Die Glasstärke ändert an dem Tragverhalten selbst gar nichts. Die Verformungs- und Lastabtragungsfiguren bleiben über weite Strcken gleich bis sehr ähnlich.
Durchbiegung der Scheiben
Wenn auf ein Bauteil eine Last einwirkt, dann biegt das Bauteil immer durch. Wie stark diese Durchbiegung sein wird hängt vom statischen System ab, von dem Material selbst und von der Bauteilgeometrie (Scheibenstärke).Im Bauwesen orientiert man sich oft an der Fausformel l/300. Das heißt zum Beispiel, dass ein 6m langer Träger sich unter Maximallast etwas 600/300= 2 -> 2cm durchbiegen darf. Auch die Aquarienscheiben werden sich nach außen biegen. Eine sichtbare Durchbiegung heißt noch nicht das Gefahr im Verzuge ist, aber wenn sie so groß ist das sie das "Gefühl anspricht", dann sollte man schauen.
Der Wert L/300 ist bei Glas sicherlich zu hoch, hier ist L/500 besser angesetzt. Ein 50cm hohes Becken dürfte sich demnach 1mm durchbiegen. Das ist vieleicht etwas zu streng, aber wenn es 5mm sind, dann dürfte das Glas zu dünn bemessen worden sein.
Streben und Leisten
Auch wenn sie zumeist nur konstruktiv gewählt werden, so haben sie dennoch echte statische Funktionen und sie können auch berechnet werden. Die aus den Seitenscheiben einwirkenden Auflagerlasten müssen durch die Leisten abgetragen werden. Da die Aquarien üblicherweise symmetrisch sind, werden sie mit den gegenüberliegenden Seiten kraftmäßig kurzgeschlossen.Es ist keinesfalls notwendig Leisten oder Streben im Gesamtsystem integriert zu berechnen. Eine obere Leiste ist auch nur ein Ein- oder Mehrfeldbalken mit einer Gleichstreckenlast und das ist ohne großen Aufwand beherrschbar.
Berechnung der Bodenscheibe
Die Spannung und Durchbiegung der Bodenscheibe bezieht sich auf Rahmenaquarien. Bei diesen liegt die Bodenscheibe ja nur am Rand auf und hängt in der Mitte durch. Bei rahmenlosen Aquarien liegt die gesamte Bodenscheibe auf Moosgummi o.ä. auf, was die Schnittkräfte und Durchbiegung natürlich erheblich verringert. Dennoch sollte man auch da nicht zu knapp rangehen.Aquarien mit Zierrahmen
Bei Aquarien mit Zierrahmen kann man die obige Berechnung der Bodenscheibe dann ansetzen, wenn das Becken und Unterlage auf einer festen Platte steht. Sobald die Durchbiegung kleiner als die Rahmendicke ist, hängt sich die Bodenscheibe in den Rahmen ein trägt über die eigentliche Fläche frei. Dann kommen die obigen Zahlen zur Geltung.Die Nähte
Die Silikonnähte müssen die Anschlusskräfte übertragen. Sie haben eine vergleichbare Tragwirkung zu Schweißnähten und daher kann man m.E. auch die Nachweise entsprechend führen.Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Beanspruchungen:
- Die Übertragung von Zug- oder Druckkräften
- Die Übertragung von Scherspannungen längs- oder quer zur Nahtrichtung
Hin und wieder taucht die Diskussion auf, welche Nahtform denn besser sei. Ich möchte keine feste Aussage dazu machen, aber wenn man eine Wulstnaht als Scheibe rechnet (jetzt also als echtes statisches Scheibenmodell), dann findet man Spannungsspitzen im unmittelbaren inneren Eckbereich. Dieses sind Kerbspannungen und da an der Innenkante üblicherweise auch eine Naht hochgezogen wird, ist das nicht kritisch.
Das ist auch logisch, denn dort ist die Nahtmasse zwischen den Glasscheiben als
lasteintragender Festkörper am geringsten. Die einwirkenden Lasten erzeugen
Spannungen und diese können sich in dem Bereich nicht so weit ausbreiten wie
in den äußeren Bereichen. Wäre die Naht porös, so würde sie
von innen nach außen aufreißen.
Andererseits ist dieser Bereich mit den hohen Spannungen so klein, dass ich das nicht
als wirkliches Argument gegen Wulstnähte anführen würde. Nicht das
irgendjemand auf die Idee kommt das aus der Grafik abzuleiten. Wenn eine Naht so
dünn gewählt wurde das vorgenannte Aspekte zum Tragen kommen, dann stimmt
ohnehin was nicht.
Stoßnähte übertragen die Kräfte auf ganzer Fläche und haben keine solchen Spannungsspitzen in sich, dass kann man wohl schon daraus ableiten.
Dennoch, wenn es auf Optik ankommt, würde ich jederzeit die Wulstnaht bevorzugen.
3. Scheiben als Scheiben.
Wenn man sich Aquarienstellagen genauer anschaut, dann wird man häufig freitragende Aquarien finden. Das sind Aquarien, die nur im Bereich der Seitenscheiben auf einem Riegel aufstehen. Sollte unter dem Aquarium eine dünne Holzplatte sein, so wird sich die an der Lastabtragung nicht beteiligen. Das Aquarium trägt seine eigenen Lasten über die Seitenscheiben ab. Dieses Tragsystem kennt man bei Brücken als sogenannte Trogbrücken.Das Bild zeigt etwa den Spannungs- bzw. Kraftverlauf einer Aquarienscheibe wenn die Scheibe in den unteren Eckpunkten links und rechts aufgelagert ist. Rot entspricht den gedrückten Bereichen, Blau steht für Zugkräfte bzw. Zugspannungen. Gelb sind die Bereich in denen geringe Spannungen herrschen.
Zu diesen Spannungen addieren sich allerdings noch der aus der Plattenwirkung, siehe Ziff. 1.
Wenn nicht die Langscheibe aufsteht, sondern die kurzen Seitenscheiben, dann müssen die Lasten auf Höhe der Scheibe über die Silikonnaht umgeleitet werden. Das verändert das Spannungsbild erheblich.
Das Spannungsbild in Version 2ist viel gleichmäßiger und es bilden sich keine Spannungsspitzen in den Auflagerpunkten.
Aussagen
Was sagen die gezeigten Bildchen und Texte nun aus? – Erstmal nicht viel, das ist richtig. Man kann kein allgemeingültigen Konstruktionsregeln aufstellen und ich möchte außerdem nicht anhand der Nennung von konkreten Daten in Haftungssituationen geraten. Was bleibt ist das Verständnis um die Tragwirkung der Aquarien als solche.Leisten und Streben wirken versteifend, aber nur dann wenn sie in der Lage sind die Lasten zu übertragen. Insbesondere müssen sie auch so stark gewählt werden, dass sie nicht durch einen Stoß, z.B. einen aufgestellten Eimer beim Wasserwechsel, zerstört werden. Wenn sie ausfallen und die langen Seitenscheiben dünn sind, gibt es ernsthafte Probleme.
Aquarien ohne Streben sind gleichwertig, wenn die Glasstärke entsprechend gewählt ist. Die Verklebung im oberen Bereich der vertikalen Nähte erfährt eine hohe Belastung.
Es gibt z.B. von der Flachglasindustrie Tabellenwerke zur Bemessung von Aquarienscheiben. Diese sollten als Grundlage genommen werden. Bei außergewöhnlichen Scheibenabmessungen ist eine Bemessung möglich, jedoch empfiehlt es sich hinreichende Sicherheitszuschläge zu machen, da nicht alle Einwirkungen erfassbar sind. Insbesondere Verdrehungen des Unterschrankes etc. sind nur schwer berechenbar.
Wulst- und Stoßnähte sind über weite Strecken gleichwertig. Nur im Detail betrachtet ergeben sich bei der Wulstnaht Spannungsspitzen, die jedoch in der Praxis nicht von Belang sein dürften. Solche Spannungsspitzen sind in der Mechanik nicht ungewöhnlich.
Die Scheiben sind geneigt:
Das macht keinen wirklichen Unterschied zu senkrechten Scheiben. Die Lastfigur (sh. Bild 1) steht zwar jetzt auch geneigt weil sie immer senkrecht zur belasteten Ebene zeigt und so kommen noch ein paar zusätzliche Kräfte/Spannungen in die Scheibe, aber die sind imer Vergleich mit den eigentlichen Biegespannungen sehr gering.Das Aquarium hat gebogene Scheiben.
Auch hier ändert sich die Lastfigur grundsätzlich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass aufgrund möglicher herstellungsbedingter Spannungen die zulässigen Spannungen geringer ausfallen. Auch wäre genau zu prüfen ob die Scheibenstärke auf die jeweilige statische Lagerungssituation abgestimmt ist.Das kann ein Kunde selber nicht tun und ein Händler wird dieses auch kaum vom Hersteller abfordern können. Ich würde daher bei handelsüblichen Größen von einer soliden Planung und Verarbeitung ausgehen. Mehr bleibt einem nicht.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Betrachtung der Fische durch gebogenen Scheiben als auch durch schräge Scheiben auf Dauer ermüdend ist. Fotografieren wird auch sehr schwer. Nahaufnahmen kleinerer Motive gelingen oft nicht mehr zufriedenstellend.